Die Kunst der Musterunterbrechung

Die allermeisten – wenn nicht alle – Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, werden weniger durch äußere Umstände als durch „Programme“ in unserem eigenen Kopf verursacht, die wir uns irgendwann im Leben – in aller Regel unbewusst, oft schon in früher Kindheit – angeeignet haben, weil wir – oder auch unser angeborenes Überlebenssystem – es damals mangels besseren Wissens für sinnvoll hielten. Das können z. B. Glaubenssätze oder emotionale Konditionierungen sein. Allgemein spricht man auch von „Mustern“, weil diese Programme immer nach dem gleichen Schema ablaufen. Ein bestimmtes Thema, eine bestimmte Situation, ein bestimmter Mensch oder sogar nur ein bestimmter Geruch o. Ä. bringt dich auf die Palme, macht dich hilflos oder traurig, löst Unwohlsein oder Angst aus, während andere Menschen auf denselben Reiz völlig anders oder überhaupt nicht reagieren. Wenn du erkannt hast, dass die eigentliche Ursache deines (gefühlten) Problems in dir selbst liegt, hast du den wichtigsten Erkenntnisschritt schon geschafft – herzlichen Glückwunsch!

Leider ist das jeweilige Muster damit aber noch nicht aus der Welt. Deshalb sind wir nach diesem ersten Erkenntnisschritt in der unschönen Situation, zu wissen, dass wir ein ungünstiges Muster haben, es aber trotzdem nicht ohne Weiteres abstellen zu können. Das gelingt uns bestenfalls bei ganz offensichtlichen Missverständnissen, die wir mit simpler Logik auflösen können – das ist aber die Ausnahme, denn die meisten Muster laufen weitgehend unbewusst und unlogisch ab. In dieser Phase fühlt man sich manchmal hilfloser als vorher, als man seine Probleme noch guten Gewissens anderen Leuten oder einem hinterhältigen Schicksal in die Schuhe schieben konnte.

Zum Glück bietet der Markt für Persönlichkeitsentwicklung inzwischen zahlreiche Coaching-, Selbstcoaching- und Therapieverfahren an, mit denen sich negative Muster mehr oder weniger effektiv auflösen lassen. Mein persönlicher Tipp ist hier die Bodo-Deletz-Akademie, das nach meinem Kenntnisstand umfassendste Programm dieser Art, das eine sehr wirksame Technik einsetzt und ein sehr faires Preismodell hat (nein, ich werde für diese Werbung nicht bezahlt).

Alle diese Angebote haben aber auch Nachteile: Sie kosten Zeit und Geld und erfordern eine Menge Motivation, um sie wirklich „durchzuziehen“. Und häufig gibt es unter den Mustern, die man gerne los wäre, leider auch solche, die genau diese Motivation blockieren (ich selbst bin z. B. immer wieder mit dem schönen Glaubenssatz „Bei mir funktioniert das sowieso nicht“ konfrontiert, der sich natürlich als selbsterfüllende Prophezeiung immer wieder bestätigt).

Und auch wenn du dir die wirklich sinnvolle Investition in ein Programm zur Persönlichkeitsentwicklung zum Geschenk machst, verschwinden die Muster dadurch nicht einfach von jetzt auf gleich. Das liegt daran, dass sie als neuronale „Verdrahtung“ im Gehirn gespeichert sind, und die kann man nicht einfach „abschalten“. Zudem gibt es natürlich auch noch die Muster, die man einfach noch nicht bearbeiten konnte, denn eine komplette Persönlichkeit gezielt „auf positiv umzuprogrammieren“ ist eine Lebensaufgabe. Daher kommt es auch im Leben eines konsequent an sich arbeitenden Menschen immer noch vor, dass ihm Muster, die er noch nicht auflösen konnte, den Alltag vermiesen.

Es gibt allerdings eine ganz simple Möglichkeit, mit auftauchenden negativen Mustern so umzugehen, dass sie immer mehr ihre Macht über dich verlieren. Dieses Vorgehen ist übrigens auch dann angesagt, wenn du die Muster bereits therapeutisch oder energetisch bearbeitet hast, denn das allein bringt sie wie gesagt noch nicht zum Verschwinden – es macht sie dir nur bewusster und öffnet die Tür zur Veränderung.

Es geht bei diesem Vorgehen darum, dem Muster keine Energie mehr zu geben, indem du es bei jedem Auftreten so schnell wie möglich unterbrichst. Dadurch werden nicht nur die negativen Auswirkungen in der aktuellen Situation reduziert, sondern auch – was viel wichtiger ist – die neuronalen Vernetzungen, die das Muster in deinem Gehirn verankert haben, nach und nach abgebaut. Denn Gehirnzellen verhalten sich diesbezüglich wie Muskeln: Wenn man bestimmte Verbindungen häufig benutzt, verstärken sie sich – wenn nicht, bauen sie sich ab.

Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass du dir des Musters bereits so weit bewusst bist, dass du in der jeweiligen Situation merkst, dass bei dir Gefühle oder Gedanken hochkommen, die dir nicht dienlich sind. Dazu musst du das Muster nicht im Detail verstehen. Es genügt die allgemeine Erkenntnis, dass demotivierende Gedanken und negative Gefühle dir in so gut wie keiner Situation nützen. Solange dir kein lebensgefährlicher Gegner gegenübersteht, gegen den du mit aller Kraft kämpfen musst, brauchst du z. B. keine Aggression. Und Aggression als „Erziehungsmethode“ (das schließt auch Wut oder Ärger über dich selbst zur „Selbsterziehung“ ein) ist immer kontraproduktiv und verfehlt – mindestens langfristig – ihr Ziel. Angst ist ohnehin so gut wie niemals sinnvoll – hierzu habe ich einen separaten Beitrag geschrieben. Hilflosigkeit und Verzweiflung (die letztlich ebenfalls auf Angst basieren) lähmen dich. Und alle anderen unguten Gefühle sind im Wesentlichen Angst, Aggression oder Hilflosigkeit in abgeschwächter Form oder in Kombination.

Ebenso wenig hilfreich sind Suchtmuster, die sich zwar manchmal als positives Lustverhalten tarnen, dich aber letztlich blockieren, da du das Objekt deiner Begierde nicht aus freien Stücken wählst. Man kann süchtig nach bestimmten Dingen, Menschen oder Handlungen sein – im Endeffekt ist man aber süchtig nach den dadurch ausgelösten Gefühlen, selbst wenn es negative Gefühle sind. Hier findet tatsächlich ein biochemischer Suchtmechanismus statt, den zum Beispiel Dr. Joe Dispenza in seinen sehr empfehlenswerten Büchern erklärt. Im erweiterten Sinne sind sogar alle negativen Muster Suchtmuster, weil durch das ständig wiederholte Erleben des entsprechenden Gefühlscocktails (es ist tatsächlich ein Cocktail aus biochemischen Botenstoffen) der Körper ein Verlangen danach entwickelt und eine gewisse Geborgenheit aus der Präsenz dieser „Droge“ gewinnt.

Sobald dir also bewusst wird, dass gerade ein negatives Gefühl, ein negativer Gedanke oder ein Suchtverhalten in dir hochkommt, sage dir etwas wie „Stop!“ und verfolge den Gedanken nicht weiter bzw. schenke dem Gefühl keine Aufmerksamkeit mehr. Das Gefühl verschwindet dadurch zwar nicht schlagartig, aber tatsächlich baut sich jede Emotion im Körper – das heißt, der entsprechende biochemische Botenstoff – innerhalb weniger Sekunden wieder ab, wenn sie nicht durch passende Gedanken erneut ausgelöst wird. Die meisten negativen Muster sind solche Teufelskreise, die ein ungutes Gefühl über längere Zeit künstlich aufrechterhalten.

Ganz wichtig dabei ist allerdings, dass dieser Stop-Impuls nicht selbst wieder einem negativen Muster entspringen sollte. Das wäre der Fall, wenn du dich über das Auftauchen des Musters ärgerst oder dich deswegen frustriert oder hilflos fühlst und das Gefühl hast, dieses Muster irgendwie bekämpfen und „endlich loswerden“ zu müssen. Damit tätest du das Gegenteil des Erwünschten und würdest dem Muster nur noch mehr Aufmerksamkeit und Energie spendieren. Sollte das passieren, behandle auch dieses Musterablehnungsmuster so wie das ursprüngliche und unterbrich es. Sage einfach nur innerlich ganz ruhig „Stop!“ in dem Bewusstsein, dass du dieses – wie auch das ursprüngliche – Muster nicht weiter verfolgen willst, weil es dir nicht dienlich ist. Brülle den Mustern nicht wütend „Stooopp!!!“ entgegen wie einem gefährlichen Gegner, sondern behandle sie wie jemanden, der dir zwar helfen will, aber nicht weiß, was wirklich gut für dich ist (denn tatsächlich ist jedes negative Muster ein Versuch deiner – oft kindlichen – Lebenserfahrung, dich vor Schlimmerem zu bewahren). Lehne das fragwürdige Hilfsangebot einfach nur freundlich, aber bestimmt ab.

Wenn du die negativen Gefühle oder Gedanken nicht direkt zum Verschwinden bringen kannst, lenke dich ab. Tu irgendetwas ganz anderes, das deine Aufmerksamkeit erfordert und möglichst positive Emotionen erzeugt. Mach dir dabei klar, dass dies keine Problemverdrängung ist, sondern ein Schritt zur Problemlösung. Selbst wenn das Muster durch eine problematische äußere Situation ausgelöst wurde, die nicht von selbst verschwindet, kommst du einer Lösung nicht näher, solange das Muster abläuft. Erst wenn du es unterbrichst und ihm seine Macht genommen hast, kannst du dich dem äußeren Problem in konstruktiver Weise widmen. Die Annahme, dass man etwas dadurch verändern kann, dass man sich davon abwendet, geht gegen die Intuition der meisten Menschen (das macht die Musterunterbrechung anfangs schwierig), aber sobald du die Zusammenhänge ein wenig verstehst, ergibt es plötzlich Sinn.

Sehr viel wirkungsvoller wird die Musterunterbrechung, wenn du dich nicht nur von dem Muster abwendest, sondern dir zugleich auch bewusst machst, was du stattdessen gerne in der jeweiligen Situation fühlen und denken möchtest, und dir klarmachst, warum das sinnvoller wäre. Dazu ist es hilfreich, die Grundprinzipien der Realitätsgestaltung zu kennen, wie ich sie z. B. in meinem Buch Die Entstehung der Realität beschreibe. Dann wird klar, dass es – egal ob man es rein psychologisch oder „esoterisch“ betrachtet – grundsätzlich sinnvoller ist, sich mit positiven Gedanken und Gefühlen einer Situation zu stellen. Auch die meisten Methoden zur Persönlichkeitsentwicklung haben in erster Linie zum Ziel, dir positive, konstruktivere Alternativen zu deinen bisherigen Mustern aufzuzeigen und deinen Fokus darauf zu lenken.

Es ist dabei nicht entscheidend, genau zu wissen, wie das „Stattdessen“ aussehen kann. Tatsächlich ist uns das in sehr vielen Fällen nicht klar, da wir aufgrund des lange antrainierten negativen Musters oft gar nicht über dessen begrenzte „Wahrheit“ hinausdenken können. Wichtig ist die energetische Qualität des „Stattdessen“ – in den von Bodo Deletz beschriebenen archetypischen Energiequalitäten ausgedrückt, sollte sich dein Ziel intuitiv leicht, weit, hell, kraftvoll und nach oben ziehend anfühlen.

Diese Ungewissheit, wie die Alternative zu dem vertrauten negativen Muster aussehen soll, das uns bisher Halt gegeben hat, ist eine der größten Herausforderungen auf dem Weg zur Veränderung. Denn man muss seine „Komfortzone“ verlassen, und das ist immer schwer, selbst wenn die Zone gar nicht so komfortabel war. Joe Dispenza nennt es den „Fluss des Wandels“ den man durchqueren muss, bevor man wieder ein sicheres Ufer erreicht. Es ist ein wenig wie ein Sprung von einer Klippe in ein nebliges „Nichts“, bei dem man einfach darauf vertrauen muss, dass man sicher landen wird.

Die Ungewissheit löst bei Menschen instinktiv Unwohlsein aus – das ist der Neulandinstinkt, die Furcht vor dem Unbekannten. Aber zum Glück musst du dich hier nicht in ein gefährliches Gebiet voller unbekannter Raubtiere begeben (dafür wurde dieser Instinkt geschaffen), sondern weißt zumindest grundsätzlich, dass du in die richtige Richtung gehst. Wenn du dir das bewusst machst, kannst du den Neulandinstinkt als unvermeidliche Begleiterscheinung akzeptieren und ebenso behandeln wie das negative Muster selbst: Schenke ihm so wenig Aufmerksamkeit wie möglich und konzentriere dich allein auf das Ziel der Veränderung. Joe Dispenza empfiehlt als Zauberwort für die Musterunterbrechung nicht „Stop!“, sondern „Change!“, weil darin der Prozess der Veränderung bereits enthalten ist, selbst wenn man noch nicht weiß, wie er sich konkret gestalten könnte.

Das Einzige, was du sonst noch wissen musst, um die Musterunterbrechung erfolgreich anwenden zu können, ist, dass sie ein wenig Geduld mit dir selbst erfordert. Am Anfang wird dir die Unterbrechung nicht immer – oder nicht so schnell, wie du es gerne hättest – gelingen, und der innere Widerstand dagegen wird sich wahrscheinlich in Gedanken wie „Das kann ich doch jetzt nicht einfach auf sich beruhen lassen!“ äußern. Der Erfolg dieser simplen Methode liegt in der konsequenten Wiederholung. Irgendwann kommst du an den Punkt, wo du vielleicht sogar grinsen musst, wenn ein vertrautes Muster mal wieder in dir hochkochen will. „Du schon wieder!“, wirst du dann vielleicht augenzwinkernd denken. Wenn du so weit bist, hast du es so gut wie geschafft, dem Muster den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich wünsche dir viel Erfolg dabei!

Über Jörg Starkmuth

Autor, Übersetzer und Verleger von Texten, die den Rahmen des Üblichen sprengen – mehr über mich

3 Kommentare

  1. Angeregt durch deinen neuen Artikel habe ich diesen hier nun auch nochmal gelesen. Damals habe ich ihn eher überflogen. Ich muss sagen, wieder ganz schön zusammengefasst! Ich lese mir grade auch sehr viel im Forum durch und das passt einfach sehr gut.

    Danke lieber Jörg! Ich möchte dich gern motivierten wieder mehr und häufiger so tolle und informative zu schreiben. 🙂

    Ich bin im gerade dabei einem Freund die Thematik näher zu bringen und dafür sind deine Artikel auch sehr gut geeignet.

    Ich würde mich jedenfalls sehr freuen wieder von dir zu lesen und auch zur hören. Das neue Interwiew hat ja auch noch einige Themen aufgezeigt, die noch ausführlicher behandelt werden könn(t)en.

    Liebe Grüße Carmen

  2. Hallo und danke, liebe Carmen! Ja, ich habe mir auch vorgenommen, öfter zu schreiben. An Gedanken mangelt es eigentlich nicht, nur an Zeit und Ruhe … Aber vielleicht ist das auch nur ein Muster, das man unterbrechen kann. 😉

  3. ? ja ganz sicher sogar! Das kenne ich selbst sehr gut! Die Vielzahl von Möglichkeiten kann manchmal eben auch zum Gegenteil führen. Da habe ich auch kürzlich erst wieder von Vera Birkenbihl gesehen, – Stichwort : Kaga und Kawa. ?

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