Was hat die Kirche mit einem Gerät zu tun, das Elektrosmog reduzieren soll? Eigentlich nichts, möchte man meinen. Aber heute unter der Dusche – einem Ort, der bei mir aus irgendeinem Grund das „Tiefdenken“ sehr fördert – fiel mir plötzlich eine Parallele auf.
Mein Bruder ist nach herkömmlichem Maßstab ein sehr viel „bodenständigerer“ Mensch als ich. Während ich metaphysische Bücher auf den Markt bringe, leitet er erfolgreich das Tiefbauamt einer Großstadt. Während ich möglichst tief hinter die Kulissen der Realität zu blicken versuche (und auf einige deshalb wohl etwas weltfremd wirke), befasst er sich mit dem „ganz normalen Leben“ dort draußen. Seit einiger Zeit ist er auch im Kirchenvorstand seiner Gemeinde aktiv und in Dinge involviert, die von der Kirche auf sozialer Ebene betrieben werden.
Als ich kürzlich in einem Telefonat mit ihm wieder einmal dezent durchblicken ließ, dass ich mit der Kirche nicht allzu viel anfangen kann und sein Engagement dort eher befremdlich finde, erklärte er mir, dass er einfach beobachte, welche soziale Wirkung die Kirche in seinem Umfeld hat. Diese Menschen sorgen für einen positiven Zusammenhalt, der so von kaum einer anderen Organisation erreicht wird, und setzen damit den zunehmend spaltenden Tendenzen von AfD und Konsorten etwas entgegen, das die Gesellschaft dringend braucht. Vom praktischen Standpunkt meines Bruders aus betrachtet, konnte ich das Argument nachvollziehen: Wir brauchen Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung in der Gesellschaft – die Kirche sorgt dafür, also ist es gut, die Kirche zu unterstützen. Ganz einfach.
Aus meiner etwas „höheren“ Warte (das ist jetzt perspektivisch und nicht wertend gemeint) stellt es sich nicht mehr so einfach dar. So sehr ich die genannten positiven Aspekte – und damit auch Menschen wie meinen Bruder, die sich dafür engagieren – schätze, ist mir sehr bewusst, dass man einen Preis dafür zahlen muss. Zwar ist die Kirche heute viel toleranter als früher, verbreitet aber nach wie vor ein theologisches Konzept, dessen negative Auswirkungen zwar nicht für jeden offensichtlich, aber doch vorhanden sind.
Natürlich ist ein Glaube, dessen Kernbotschaft die Nächstenliebe ist, weitaus besser als purer Materialismus oder gar religiöser Fanatismus gegen „Ungläubige“. Befasst man sich aber ein wenig mit gelebter Spiritualität, Mystik und Metaphysik, wird schnell klar, dass das christliche Menschenbild dem Gläubigen eine künstliche Grenze auferlegt, die es eigentlich nicht geben dürfte. Ich bin nach jahrzehntelanger Recherche und Überlegung mittlerweile davon überzeugt, dass der Mensch ein grenzenloses Wesen ist, das vom „Göttlichen“ (im Sinne eines allumfassenden Bewusstseins) allein dadurch – und auch nur scheinbar – getrennt ist, dass er auf höherer Ebene selbst gewählt hat, diese Erfahrung der Begrenztheit zu machen, sie aber auch wieder zu transzendieren. Dieser Prozess der spirituellen Selbsterkenntnis wird von der Kirche „gedeckelt“, noch bevor er überhaupt richtig beginnt, indem sie uns erklärt, wir seien nun mal nicht Gott, sondern nur dessen Geschöpfe – zwar geliebt, aber eben doch nur Menschen, die von seiner Gnade abhängig sind. In dieser Vorstellung steckt zwar ein wahrer Kern, den ich in einem späteren Beitrag weiter ausführen werde (Stichworte: höheres Selbst und „Ego“), aber auch diesen versteht man wiederum nur mit metaphysischen Kenntnissen (siehe in diesem Zusammenhang auch Der Baum des Bewusstseins).
Kurzum: Die Kirche versteht sich als Institution der Spiritualität, blockiert aber letztlich genau diese – nicht böswillig, sondern aus überlieferten Missverständnissen heraus. Das ist der Preis, den man zahlt, wenn man sich ihr anvertraut. Für viele ist der Preis nicht zu hoch, weil sie ohnehin nicht an aktiver spiritueller Entwicklung interessiert sind – allenfalls im Sinne einer Verbesserung der persönlichen und sozialen Ethik, aber nicht im Sinne metaphysischer Selbsterkenntnis. Über dieses Stadium wächst allerdings jeder Mensch irgendwann hinaus (wenn nicht in diesem Leben, dann in einem anderen). Spätestens dann wird klar, dass die sozialen und emotionalen Vorzüge der Kirche eine zweischneidige Sache sind. Nicht alles, was gute Wirkungen hat, ist auch generell gut und dauerhaft sinnvoll. Es mag sein, dass unsere Gesellschaft derzeit keine gangbare Alternative hat, aber mittelfristig wird sie sich aus diesen beengenden Konzepten lösen müssen.
Und genau dieses Gefühl der Zweischneidigkeit begegnete mir gestern in einem ganz anderen Zusammenhang wieder. Auf der Facebook-Seite einer von mir geschätzten Person, die eine Form des geistigen Heilens anbietet, empfahl diese Person den Kauf eines Gerätes, das angeblich die negativen Auswirkungen der allgegenwärtigen elektromagnetischen Strahlung (Mobilfunk etc.) kompensieren kann, wenn man es sich um den Hals hängt. Der Hersteller liefert auf seiner Website natürlich eine umfangreiche und sehr wissenschaftlich klingende Begründung, warum dies notwendig ist und wie es erreichbar sein soll. Wie so oft fehlt aber eine plausible Erklärung, wie das Ganze im Detail funktionieren soll – auf einem Niveau, das auch einen Ingenieur oder Physiker – oder auch einen Metaphysiker – überzeugen würde. Bisher habe ich noch bei keinem Anbieter irgendwelcher (unkonventionellen) Geräte, die irgendeine Form von Heilung bewirken sollen, eine plausible Funktionserklärung gefunden. Ich unterstelle diesen Herstellern nicht automatisch Betrug, gehe aber davon aus, dass sie in den allermeisten Fällen reine Placebos – also im Grunde Talismane – verkaufen, oft ohne es selbst zu wissen.
Warum ich das glaube? Zum einen, weil schon das Wenige, das an Erklärung geboten wird, aus der Sicht des Elektroingenieurs, der ich von der Ausbildung her bin, nicht plausibel ist. Man kann z. B. mit einem kleinen Gerät ohne eigene Stromversorgung, das man sich um den Hals hängt, nicht das gesamte elektromagnetische Feld um den Körper herum verändern (in diesem Fall angeblich die Polarisation des Feldes). Das ist auf diesem Weg schlicht nicht möglich. Zum anderen ist mir die von den meisten Menschen massiv unterschätzte Macht des Placebo-Effekts und seines negativen Gegenstücks (Nocebo) bekannt. Gedanken und Emotionen können fast alles heilen und können umgekehrt sogar töten. Dazu gibt es zahlreiche Studien und Fallbeispiele. Nicht ohne Grund wird der Placebo-Effekt inzwischen auch von der Medizin als wesentlicher Wirkungsfaktor offiziell anerkannt.
Auch im Bereich „Elektrosmog“ wurde u. a. durch eine Studie der Universität Essex nachgewiesen, dass typische Symptome von Strahlenbelastung auch dann auftreten, wenn gar keine reale Strahlung vorhanden ist. Es genügt, wenn die Testperson glaubt, dass die Strahlungsquelle eingeschaltet wurde. Schon bekommt sie Kopfschmerzen und andere unschöne Symptome, je nach ihrer Veranlagung und Erwartungshaltung. Umgekehrt überlebten mehrere Jesuiten-Mönche die Explosion der Hiroshima-Atombombe in nur 1,5 km Entfernung, ohne Strahlenschäden davonzutragen. Damit will ich die teilweise durchaus realen Risiken elektromagnetischer Strahlung nicht verharmlosen, aber wir dürfen hier keinesfalls vom Symptom direkt auf die Ursache schließen.
Als ich in diesem Sinne einen (hoffentlich hinreichend diplomatisch formulierten) Kommentar unter den besagten Facebook-Post schrieb, wurde mir wieder einmal bewusst, warum diese angeblichen Heilmittel eine so zweischneidige Sache sind. Denn die Person, die das besagte Gerät empfiehlt, ist ganz begeistert von dessen Wirkung, und auch ihr unterstelle ich keine bewusste Falschaussage. Auch viele alternativmedizinische Methoden, die einen robusten Nachweis ihres Wirkprinzips bislang schuldig geblieben sind, betrachte ich als ähnlich zweifelhaft – aber auch hier erzielen viele Menschen erstaunliche Erfolge damit. Und wenn das Produkt – egal warum – Menschen tatsächlich hilft, ist es dann nicht eine gute Sache?
Ja und nein. Ähnlich wie bei der Kirche gilt auch hier: Eine positive Wirkung ist natürlich besser als keine Wirkung. Deshalb sollte man Placebo-Hilfsmittel nicht pauschal verdammen. Aber von der pauschalen, unter Alternativheilern beliebten Aussage „Wer heilt, hat recht“ halte ich wenig, denn auch hier zahlt man einen Preis. Ganz ähnlich wie im Fall der Kirche, wo man sich von einem außerhalb des Selbst angenommenen „Gott“ abhängig macht – gibt man hier einen Teil der Verantwortung an eine eigentlich unnötige äußere Instanz – ein „Heilmittel“ oder einen „Heiler“ – ab, macht sich also ein Stück weit davon abhängig.
Das ist ein gangbarer Weg, der sinnvoll sein kann, wenn man durch eine solche „Fokussierungshilfe“ besseren Zugriff auf seine Selbstheilungskräfte bekommt, aber auch dieser Weg hat wieder Grenzen. Wer nicht irgendwann erkennt, dass die Ursache für seinen Zustand immer in ihm selbst liegt und auch nur von dort aus nachhaltig verändert werden kann, wird sein eigenes Potenzial für Heilung, Glück und Schöpferkraft niemals ganz ausreizen. Man kann diese Wahl treffen, aber ich wünsche jedem Menschen, dass er sie bewusst treffen kann. Dazu muss er über die Macht des Placebo/Nocebo-Effekts Bescheid wissen und sich wirklich fundiert darüber informieren, ob das Mittel seiner Wahl irgendeine Wirkung über diesen Effekt hinaus anzubieten hat. Das gängige Marketing für die meisten Produkte ist dabei leider wenig hilfreich.
Auf solche Hilfsmittel weitestmöglich zu verzichten hat mehrere Vorteile. Zum einen spart man meistens Geld – in einigen Fällen sogar sehr viel. Zum anderen entfällt das Risiko, in eine Sackgasse zu geraten, in der das gewählte Mittel entweder nicht mehr weiterhilft oder sogar schadet. Ein klassisches Beispiel ist der Aderlass, eine bis ins 18. Jahrhundert gängige ärztliche Methode, die nur in den seltensten Fällen medizinisch sinnvoll ist, damals aber aus einem verbreiteten Irrglauben heraus gegen fast alle Leiden eingesetzt wurde. George Washington beispielsweise starb höchstwahrscheinlich nicht an seiner Erkrankung, sondern an Blutverlust durch mehrere sinnlose Aderlässe. Drittens vermeidet die Konzentration auf die Selbstheilungskräfte des Körpers jeglichen unnötigen Umweg und setzt da an, wo die eigentliche Heilung ohnehin stattfindet.
Es gibt keine universelle Lösung für diesen inneren Widerspruch zwischen hilfreicher und begrenzender Funktion – wie fast überall erfordert unsere aktuelle Sozialstruktur auch hier Kompromisse. Wir können ja auch nicht einfach von heute auf morgen alle Autos abschaffen, weil sie die Umwelt belasten – die Nachteile würden schwerer wiegen als die Vorteile. Stattdessen müssen wir die Evolution im Innen wie im Außen in einem Tempo vorantreiben, das eine gute Balance zwischen Stabilität und Veränderung/Verbesserung gewährleistet (siehe hierzu auch Chaos und Ordnung). Letztlich sind sogar Hilfsmittel mit gut nachgewiesener, über Placebo hinausgehender Wirkung aus „höherer“ Sicht wiederum nur Umwege, da unsere innere Schöpferkraft im Prinzip unbegrenzt ist. Aber solange wir nicht wissen, wie wir dieses Potenzial voll entfalten können, sind Hilfsmittel – als elementarer Bestandteil unserer irdischen Begrenzungserfahrung – oft ein pragmatisch sinnvoller Weg. Ich möchte nur jedem empfehlen, sie bewusst und weise zu wählen.
Hallo Jörg,
du sprichst in deinem Artikel so viele Themen an, zu denen ich was anmerken könnte, doch ich belass es mal bei einem Punkt:
Zu der Auseinandersetzung mit deinem Bruder über den Sinn seines Engagements in der Kirche teile ich grundsätzlich deine Meinung über die Kirche als Institution und bin deshalb schon lange ausgetreten. Trotzdem glaube ich, dass sie eine wichtige Funktion in der Gesellschaft hat. Ich denke da an das Konzept von Spiral Dynamik, das dir sicher ein Begriff ist.
https://www.integralesforum.org/medien/integrale-bibliothek/theorie-grundlagen/2809-spiral-dynamics
Auf den verschiedenen Ebenen der Entwicklung des Bewusstseins hat auch die Institution der Kirche und die Religion ihren Platz.