Warum die meisten Anleitungen zum Aura-Sehen Unsinn sind

Dieser Artikel ist ursprünglich in Die Andere Realität, Ausgabe 1, 2016, erschienen.

Gelegentlich nehme ich ganz gerne die Rolle des Advocatus Diaboli ein, insbesondere im Zusammenhang mit „esoterischen“ Themen. Dazu muss man wissen, dass mein Weltbild durchaus sehr esoterisch geprägt ist – in dem Sinne, dass ich viele Dinge für existent halte, die für Durchschnittsbürger und Hardcore-Naturwissenschaftler unter Spinnerei fallen. Dazu zählt auch die menschliche Aura – ein komplexes Energiefeld, das unseren Körper umgibt und durchdringt.

Wenn ich also hier die gängigen Anleitungen zum Sehen der Aura disqualifiziere, tue ich das keineswegs, um die Existenz der Aura in Abrede zu stellen. Vielmehr geht es mir darum, Wahrheit und Illusion möglichst sauber zu trennen. Denn leider kursieren naturgemäß gerade im esoterischen Bereich, wo wissenschaftliche Methodik nicht allzu etabliert ist, eine Menge Unsinn und Halbwahrheiten, die aber von der Mehrheit der Esoterik-Interessierten nur allzu gern geglaubt werden. Hier sehe ich mich als Aufklärer, auch wenn ich mich dabei manchmal wie Don Quijote bei seinem Kampf gegen die Windmühlen fühle.

Die meisten der in Büchern und im Internet verbreiteten Anleitungen zum Aura-Sehen lauten im Prinzip wie folgt: Suche dir einen einfarbigen, möglichst hellen Hintergrund, stelle davor eine Person oder halte deine eigene Hand vor diesen Hintergrund. Dann schau entspannt auf die Person oder Hand, ohne die Augen zu bewegen. Nach einigen Sekunden kann man dann um die Außenkontur der Person oder Hand herum einen hellen, leuchtenden Rand wahrnehmen – und das ist angeblich die Aura oder zumindest der Teil davon, den jeder Anfänger sehen kann.

Das wäre in der Tat sehr schön, ist aber leider falsch. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass es Menschen gibt, die bei dieser Übung tatsächlich die Aura sehen können, aber die Behauptung, dass jeder das ohne Weiteres könne, stimmt definitiv nicht. Genauer gesagt kann zwar tatsächlich jeder den leuchtenden Rand sehen, aber dabei handelt es sich leider nicht um die Aura, sondern um einen Effekt, der sich durch die Eigenschaften unserer Augen relativ leicht erklären lässt.

Viele Menschen gehen davon aus, dass unsere Augen ein sauberes, objektives Bild der Wirklichkeit zeichnen, und dass das, was man mit eigenen Augen sieht, zwangsläufig auch existieren muss. Das Gleiche glauben viele Menschen auch über Kameras, wo es aber ebenso wenig stimmt. Kein Abbildungssystem ist perfekt. Und so wie Kameras manchmal seltsame Reflexionen im Objektiv und andere Artefakte abbilden, die dann von unbedarften Betrachtern gerne für esoterische Objekte wie „Orbs“ gehalten werden, zeigen auch unsere Augen manchmal mehr, als vor der Linse vorhanden ist. Wer jemals nach einem heftigen Schlag Sternchen gesehen hat, wird das bestätigen können.

Unsere Augen haben eine Eigenschaft, von der Kamerahersteller bislang nur träumen können. Bei einer Kamera lässt sich die Empfindlichkeit des Bildsensors (der ISO-Wert) erhöhen, um auch bei schwachem Umgebungslicht noch Bilder mit kurzer Belichtungszeit machen zu können. Der Wert lässt sich jedoch nur pauschal für den gesamten Sensor verändern. Unsere Augen können dagegen die Empfindlichkeit für jede einzelne Rezeptorzelle auf der Netzhaut (also für jeden Bildpunkt – bei der Kamera würde man von Pixeln sprechen) anpassen, und dies geschieht zudem vollautomatisch. Dadurch passt sich unser Auge wesentlich flexibler an das Umgebungslicht an als jede Kamera (technisch gesprochen: Der Dynamikumfang ist wesentlich höher).

Eines allerdings hat die Kamera dem Auge voraus: Der ISO-Wert lässt sich sehr schnell verändern, während das Auge einige Zeit braucht, um die Empfindlichkeit der Rezeptoren an veränderte Lichtbedingungen anzupassen. Man merkt es, wenn man nachts das Licht ausmacht: Erst nach einigen Minuten haben sich die Augen an die Dunkelheit angepasst, und man kann wieder etwas erkennen.

Die selektive Anpassung der Empfindlichkeit erkennt man am besten, wenn man einmal kurz direkt in die Sonne schaut. Schaut man dann anderswohin, sieht man einen oder mehrere sonnengroße Flecken, die das Bild überlagern. Das sind die Stellen auf der Netzhaut, in die sich das Bild der Sonne quasi eingebrannt hat – zum Glück nur in dem Sinne, dass die betroffenen Rezeptoren ihre Empfindlichkeit reduziert haben, um nicht überreizt zu werden. Dadurch bildet dieser Bereich der Netzhaut die Umgebung danach kurzzeitig dunkler ab, bis die Empfindlichkeit wieder angepasst ist.

Umgekehrt funktioniert das Ganze auch: Wenn man ein schwarzes Objekt vor einer weißen Wand eine Weile bewegungslos betrachtet und die Augen dann auf eine leere, weiße Fläche richtet, sieht man dort, wenn man die Augen ruhig hält, die Form des Objektes als hellen Fleck. Die betroffenen Rezeptoren haben aufgrund der Dunkelheit des Objektes ihre Empfindlichkeit erhöht, um in diesem Bereich mehr erkennen zu können. Blickt man dann auf die weiße Wand, erscheint sie in diesem Bereich der Netzhaut heller, weil das Lichtsignal von den empfindlicheren Rezeptoren verstärkt wird.

Hinzu kommt nun die Tatsache, dass unsere Augen niemals völlig stillstehen. Sie führen ständig Mikrobewegungen aus. Das ist notwendig, da die Netzhautrezeptoren sich an einen völlig konstanten Reiz so vollständig gewöhnen würden, dass man an dieser Stelle überhaupt nichts mehr wahrnehmen würde. Das Bild muss daher auf der Netzhaut immer ein wenig herumwandern, um überhaupt wahrnehmbar zu bleiben. Das Gehirn kompensiert diese Bewegung, sodass wir den Eindruck haben, dass das Bild vollkommen stillsteht.

So ungefähr sieht die Pseudo-Aura aus (digital nachgestellt)

Was passiert nun, wenn wir das besagte dunkle Objekt vor hellem Hintergrund betrachten und dann zum Beispiel unwissentlich ein winziges Stück weiter nach rechts schauen? Die Rezeptoren, die zuvor die rechte Kante des Objektes abbildeten und deshalb empfindlicher wurden, blicken nun auf die weiße Wand direkt rechts vom Objekt und lassen diese heller erscheinen. Das Gleiche passiert auch an den anderen Kanten. Der Bereich der Netzhaut, in dem das Bild des Objektes aufgrund der Mikrobewegungen herumwandert, ist naturgemäß immer ein wenig größer als das tatsächliche Abbild des Objektes, selbst wenn wir es genau fixieren. Daher erscheint rund um das Objekt ein heller Umriss.

Dass es sich hierbei nicht um die Aura handelt, erkennt man auch daran, dass der Effekt mit allen dunklen Objekten vor hellem Hintergrund gleichermaßen funktioniert. Nach den gängigen Ansichten über die Aura müsste diese bei lebenden Wesen deutlich ausgeprägter sein als bei anderen Objekten (selbst wenn man aus spiritueller Sicht alles, was existiert, als lebendig betrachtet, sind laut den meisten Quellen die Auren dennoch unterschiedlich). Auch die „Aura“ einen Menschen in einem Video oder auf einem Foto unterscheidet sich bei dieser Technik nicht von der eines tatsächlich anwesenden Menschen, was ebenso stutzig machen sollte.

Wie bereits erwähnt, will ich nicht ausschließen, dass diese kleine Übung einigen wenigen Menschen vielleicht tatsächlich den Einstieg in die Wahrnehmung der echten Aura ermöglicht (auch wenn ich das für eher unwahrscheinlich halte). Und möglicherweise werden einige Leser mich dafür kritisieren, dass ich diesen Menschen diese Tür sozusagen vor der Nase zuschlage, indem ich ihre ersten, motivierenden Erfolgserlebnisse (ob scheinbar oder nicht) und damit ihr Vertrauen in den Prozess sabotiere. Das tut mir leid – ich glaube jedoch, dass es letztlich mehr Menschen hilft als schadet, wenn wir die Irrtümer ausräumen und uns auf die Fakten konzentrieren – zumindest in den Bereichen, wo wir beides bereits zuverlässig auseinanderhalten können.

Das Folgende ist im Gegensatz zum Bisherigen nicht naturwissenschaftlich gesichert, sondern stellt meine eigenen Schlussfolgerungen aus den mir bekannten Beschreibungen in der Literatur und in den Berichten einiger mir bekannter Personen dar.

Die Aura ist ganz offensichtlich – im Gegensatz zu gewöhnlichem Licht – kein elektromagnetisches Phänomen (zumindest nicht im bislang erforschten Frequenzbereich) und kann deshalb auch nicht mit unseren physischen Augen oder mit einer Kamera abgebildet werden. Solche Felder müssten mit konventioneller Messtechnik nachweisbar sein. Und wenn man annimmt, dass es sich um extrem schwache Felder handelt, die unterhalb der Messbarkeitsgrenze liegen, würde das bedeuten, dass aurasichtige Menschen solche schwachen Felder sehen könnten. Dann müssten sie aber auch sehr viele andere elektromagnetische Felder wahrnehmen können, die um ein Vielfaches stärker und dennoch für normale Augen unsichtbar sind. Offensichtlich ist das aber nicht der Fall.

Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Aura in einer anderen, nichtphysischen Existenzebene liegt, vergleichbar oder identisch mit der Welt, die Menschen bei außerkörperlichen Erfahrungen wahrnehmen. Aus zahllosen Berichten wissen wir, dass die „unterste“ Ebene dieser nichtphysischen Welten, oft auch „Astralebene“ genannt, ein ziemlich exaktes Abbild unserer physischen Welt ist. Tatsächlich bemerken manche Astralreisende zunächst gar nicht, dass sie sich im außerkörperlichen Zustand befinden, weil die Umgebung wie immer aussieht – bis sie ihren eigenen Körper im Bett liegen sehen.

Dennoch ist das, was sie sehen, nicht die physische Welt. Sie kann es schon deshalb nicht sein, weil die physischen Augen bei diesen Reisen nicht mitgenommen werden – die Wahrnehmung auf der Astralebene kommt sehr gut ohne sie aus. Tatsächlich berichten einige Reisende auch von Abweichungen von der physischen Welt. So können Gegenstände vorhanden sein, die in der physischen Welt nicht dort sind. Zudem lässt sich die eigene Wahrnehmung stark verändern, sobald man begreift, dass es sich um eine nichtphysische Wahrnehmung handelt. Beispielsweise ist eine 360-Grad-Rundumsicht möglich. Man ist also auch nicht an etwaige „Astral-Augen“ gebunden. Die Informationen scheinen eher direkt ins Bewusstsein zu strömen und nur aus Gewohnheit dem physischen Sehen zu gleichen.

Nicht zuletzt kann man auf der Astralebene Menschen begegnen, die in der physischen Welt nicht (mehr) leben, aber auf der nächsten Ebene „hängen geblieben“ sind – landläufig auch „Geister“ genannt. Und hier zeigt sich, dass manche Menschen in der Lage sind, die Astralebene auch dann wahrzunehmen, wenn sie sich normal in ihrem physischen Körper bewegen. Denn einige wenige Menschen können solche „Geister“ auch im Alltag sehen. Mir ist eine Frau persönlich bekannt, in deren Familie es diese Fähigkeit gibt. Sie selbst sieht die Gestalten nur schemenhaft, ihre Tochter jedoch kann sie sehr viel deutlicher wahrnehmen. Dadurch ist ein Abgleich möglich, der bestätigt, dass hier eine „objektive“ Realitätsebene beobachtet wird, in dem Sinne, dass sie nicht nur für einen einzelnen Menschen existiert, sondern kollektive „Gültigkeit“ hat.

Hier findet also eine Überlagerung zweier Bilder im Bewusstsein statt. Das eine wird von den physischen Augen erzeugt und bildet die physische Welt ab. Dem überlagert ist die Wahrnehmung der Astralebene. Da sie aus derselben Perspektive wahrgenommen wird und der physischen Welt weitgehend gleicht, treten nur die Abweichungen zwischen beiden Welten auffällig in Erscheinung – wie eben die „Geister“.

Das menschliche Energiefeld existiert vermutlich nicht nur auf der Astralebene, sondern in unterschiedlichen Ausprägungen auf vielen oder allen Existenzebenen. Welche davon von aurasichtigen Menschen wahrgenommen werden können, ist hier zweitrangig, jedoch gehe ich davon aus, dass dabei das gleiche Prinzip der Bildüberlagerung zur Anwendung kommt wie bei den Menschen, die „Geister“ sehen können. Die „höhere“ Wahrnehmung wird also sozusagen auf das von den Augen erzeugte Bild projiziert, sodass die Aura um den Körper herum wahrgenommen wird.

Dafür spricht auch, dass manche Menschen die Aura unabhängig von der physischen Wahrnehmung sehen können, indem sie die Augen schließen und ihren Bewusstseinsfokus auf die entsprechende Existenzebene lenken. Im Grunde nehmen sie den Menschen auf der anderen Ebene wahr, denn tatsächlich existieren wir auf allen Ebenen parallel, von der physischen Welt bis zum allumfassenden Urbewusstsein, wo wir keine getrennten Individuen mehr sind, sondern „ein und alles“. Und einige dieser Teilaspekte unseres Selbst sind das, was gemeinhin als „Aura“ bezeichnet wird und sich nach den gängigen Modellen unter anderem in den Astral- oder Ätherkörper, den Mental- und den Emotionalkörper aufteilt.

Das Aura-Sehen erfordert also die Wahrnehmung nichtphysischer Existenzebenen. Hierfür gibt es meines Wissens bislang keine Anleitung, die zuverlässig und universell funktioniert. Bei Erleuchtungserfahrungen wird diese Wahrnehmung manchmal schlagartig aktiviert, dies ist jedoch weder garantiert noch eine zwingende Voraussetzung.

In jedem Fall handelt es sich um eine vorrangig rechtshemisphärische* Wahrnehmung, die intuitiv funktioniert und erst im letzten Schritt linkshemisphärisch in Bilder „übersetzt“ wird, die wir mit dem Verstand auswerten können. Um diese Wahrnehmung zu stärken, braucht es eine starke Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften (Hirnbalken oder Corpus callosum). Dazu ist es nützlich, jegliche Art von intuitiver Wahrnehmung zu trainieren und zu stärken. Auch Meditation ist offenbar sehr hilfreich.

Ein gezieltes Training der rechtshemisphärischen Wahrnehmung mit dem Ziel, mentale und emotionale Hindernisse auf dem Weg zu einem erfüllten Leben aufzulösen, bietet übrigens die 2014 eröffnete Online-Akademie des bekannten Persönlichkeitstrainers Bodo Deletz (www.bodo-deletz-akademie.de). Diese Methode arbeitet direkt in der Aura und ist meines Wissens in dieser Form bislang einzigartig.

Es tut mir leid, wenn ich mit diesem Artikel einigen Menschen eine schöne Illusion wegnehme. Ich bin jedoch der Auffassung, dass die noch nicht so genau erforschten Bereiche unserer Existenz jenseits der etablierten Naturwissenschaft die gleiche Sorgfalt bei ihrer Erkundung verdienen wie die bereits weitgehend verstandenen Bereiche. Anderenfalls laufen wir Gefahr, uns in einem Dschungel aus Illusionen und Halbwahrheiten zu verirren, was die Gewinnung tragfähiger Erkenntnisse unnötig verzögert oder gar unmöglich macht.


* Anmerkung: Das klassische Hemisphärenmodell des Gehirns, nach dem beide Gehirnhälften streng getrennte Funktionen ausüben, gilt mittlerweile als überholt. Jede Hemisphäre hat allerdings funktionale Schwerpunkte, wobei rationale Prozesse stärker linkshemisphärisch und intuitive Prozesse stärker rechtshemisphärisch verortet sind. 

Über Jörg Starkmuth

Autor, Übersetzer und Verleger von Texten, die den Rahmen des Üblichen sprengen – mehr über mich

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